Was ein Waldspaziergang mit Ermutigung für Kinder zu tun hat und wozu Begeisterung gut sein kann.
Irgendwann im Frühling beim Waldspaziergang:
Ein Junge, vielleicht sieben Jahre alt, hängt hilfesuchend an einem Abhang. Mit roten Wangen und ratlosem Blick wendet er sich zu seiner Großmutter, die unten steht und ihm Ratschläge gibt.
Greif nach der Wurzel neben dir!
Von oben kommt nur ein Stöhnen.
Geh doch da rüber zu dem Efeu.
Er denkt nach. Bewegt sich noch immer nicht.
Was ist Efeu?
Haben wir unseren Kindern die Freude am Toben, Entdecken, Klettern und sich Ausprobieren abtrainiert? Was ist falsch gelaufen, wenn ein kleiner Junge in dieser Situation nicht selbst auf die Idee kommt, sich zu helfen? Sich fallen zu lassen und, eventuell auch auf dem Hosenboden rutschend, wieder Tritt zu fassen?
Ähnliche Fragen warf die Familie bei mir auf, die ich einige Wochen später auf dem Waldweg traf. Sonntag nachmittag. Eine Familie – Vater, Mutter, zwei Kinder – ist im stadtnahen Wald unterwegs. Gestern hat es geregnet, doch heute scheint wieder die Sonne. Also die Kinder aufs Schönste herausgeputzt und ab in die Natur. Die Gräben rechts und links des Weges sind voller Kaulquappen. Das kleinere der Kinder bleibt stehen. Entdeckerlust blitzt aus seinen Augen. Was sind das für Tierchen? „Komm, weiter!“ Die Eltern gehen langsam voraus. „Mamaaa!“ Offensichtlich wünscht sich die Kleine, ihre Eltern mögen Anteil nehmen an dem, was sie hier ergründet. Vielleicht kann man diese Tiere anfassen? Auf jeden Fall sind sie spannend. Sie guckt fasziniert in den Tümpel. Ich unterdrücke den Wunsch, mich daneben zu stellen und sie zu ermuntern, in das Gewusel hineinzugreifen. Mittlerweile kauert sie nah an der Erde und ist vollkommen von dem Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.
Plötzlich steht die Mutter neben ihr. Vorwurfsvoll. Sagt irgendwas von „weiße Strumpfhose…“ und ich denke nur: wie kann sie sich angesichts des Wunders des Lebens, das ihre Kleine gerade entdeckt, Sorgen um eine weiße Strumpfhose machen. Sie zerrt ihre laut protestierende Tochter am Arm hinter sich her. Das Kind tut mir leid.
Vielleicht liegt es daran, dass ich mich an meine eigene Mum erinnern muss. Sie stand eines Sonntags völlig perplex vor zwei kleinen Mädchen und traute ihren Augen nicht. Fein herausgeputzt für den Kirchgang, im weißen Kommunion- beziehungsweise Sonntagskleidchen, streiften meine Cousine und ich durch den Garten und sammelten Regenwürmer! Ich habe keine Erinnerung mehr, was wir damit wollten. Es war einfach spannend und duldete keinen Aufschub. Wir lebten im Moment und dieser Moment war aufregend und voller neuer Entdeckungen. Professor Hüther würde Ihnen jetzt vermutlich erklären, welche Feuerwerke unsere Neuronen da abgefeuert haben. Es lohnt sich, den ein oder anderen Blick in seine Bücher zu werfen, oder ihm online zu lauschen.
Es ist die Begeisterung, die Erregung einer neuen Erfahrung, die Kindern beim Lernen hilft. Die es ihnen ermöglicht, sich die Welt zu erschliessen. Und zwar den Teil der Welt, der Spaß macht! Es ist auch dieses Erlebnis, das Kinder unterstützt, selbst Probleme zu lösen. Nur, wenn sie ihren eigenen Wahrnehmungen und Entdeckungen trauen dürfen, können sie auch lernen, selbst zu denken. Dazu braucht es Erwachsene, die nicht auf alle „Wunder“, die dem Kind begegnen, schon eine Antwort haben. Im Sinne von: „Das ist nur ein…“ Klar. Die Großen wissen bei allem schon Bescheid. Sie sind nicht mehr in der Lage, zu erkennen, wie atemberaubend unsere Welt sein kann.
Ich wünsche der Kleinen vom Waldweg auf jeden Fall, dass sie sich an dieses Erlebnis zurück erinnert, wenn sie selbst Kinder hat. Sie könnte sich dann ab und zu fragen, was wichtiger ist: Forscher- und Entdeckergeist oder der „schöne Schein“ eines geruhsamen Spaziergangs am Sonntag nachmittag.
jkh
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- Erfolg - 14. September 2017